Gut gelaunte Mülltonnen: Künstler beleben die Burg Tittmoning / Rezension von Peter Jungblut BR

Gut gelaunte Mülltonnen: Künstler beleben die Burg Tittmoning

Mystisch-magische Bilder, die von der Bedrohung und der Kraft der Natur künden, kombiniert mit Gesellschaftskritik im Pop-Art-Stil: Silvia Menzel und Toninho Dingl stellen im Rupertiwinkel aktuelle Werke aus: Ist die Stimmung besser als die Lage?

 

Sie biegen sich buchstäblich vor Lachen, die drei schwarzen Mülltonnen, sie schütten sich aus, eine liegt schier auf dem Boden: Eine enorme Gaudi scheinen sie zu haben, aber warum sie so lustig drauf sind, dass bleibt dem Betrachter erst mal schleierhaft. „Die Stimmung ist besser als die Lage“ nennt der in Burghausen geborene Künstler Toninho Dingl denn auch augenzwinkernd seine Ausstellung auf der Burg in Tittmoning im Rupertiwinkel, direkt an der österreichischen Grenze gelegen.

Die Fahrt in die abgeschiedene Gegend zwischen A 8 und A 94 lohnt übrigens nicht nur wegen der gesellschaftskritischen Kunst, sondern auch wegen der fantastischen Aussicht weit hinein ins Salzachtal. Etwas „schwarzen Humor“ und die Fähigkeit zur Selbstironie sollten Besucher allerdings schon mitbringen.

Schiefe Wasserwaage signalisiert: „Alles im Lot“

Toninho Dingl, Jahrgang 1988, der in Salzburg Geografie studiert hat und in Karlsruhe sein Diplom als Maler und Grafiker abschloss, leistet sich den Luxus, den Verheißungen der modernen Welt nicht keinen Glauben zu schenken. Neben dem Briefkasten für „Liebesbriefe“ in verführerischem Rosa steht bei ihm auch einer im tristen Grau, für „Rechnungen“. Dazwischen wartet einer in Gelb, mit einer kreisrunden Öffnung, die zum Reingreifen einlädt. Die Libellen einer Wasserwaage versprechen dem Betrachter, dass alles ganz genau im Lot ist, dabei steht sie sehr, sehr schief – kein Zweifel, ihre Stimmung ist wirklich besser als ihre Lage.

Ähnlich ergeht es einem Zeitungsleser, der es sich auf einer Sonnenliege recht gemütlich gemacht hat. Ein Urlaubsbild, eine scheinbar entspannte Situation, wäre da nicht der Buschbrand direkt hinter der Person. Sie sollte sich mal besser in der freien Natur informieren statt in den Medien, so die herbe Botschaft, das könnte ihr Leben retten, denn wann wird das Blatt von der Katastrophe künden?

Batterien und barocke Bildzitate

Dingl, der sich an der bunten Optik der Pop Art orientiert und weder vor der Abbildung von Stromzählern, noch vor „Long Life“-Batterien und Staubsaugern zurückschreckt, spielt gern auch mit barocken Bildzitaten.

So malt er eine Pyramide der Altersstufen von der Geburt bis zum Tod, der Clou daran: Als es eigentlich schon fast ans Sterben geht, bekommt der Senior mit 75 noch frische Energie zugeführt und präsentiert sich plötzlich im Sportdress: „Neue Hüfte“ heißt das Acrylbild. Und am Eingang zum Paradies steht ein Erste-Hilfe-Engel, klar, denn der Himmel, das ist hier ein Oktoberfestzelt.

Neugierige und traurige Verkehrsleuchten

Besonders die bayerische Milchwirtschaft hat es Toninho Dingl offenbar angetan: Auf vielen seiner Bilder tummeln sich Tetrapaks mit Kuhflecken-Design. Darunter ist einmal zu lesen „Seekühe“, nämlich wenn sich die bekannten Verpackungen im lauschigen Bergsee räkeln, einmal „The Good, The Fat and The Ugly“, womit Milch zwischen 3,5 und 0,1 Prozent Fettanteil gemeint ist. Und immer rahmt die alpenländische Bergwelt das Geschehen ein, denn glückliche Kühe grasen bekanntlich in der Werbung stets auf Almwiesen. Warum soll das für zufriedene Tetrapaks nicht auch gelten.

Beim Zugang zur Tittmoninger Burg begrüßen den Besucher übrigens „Verkehrsleuchten, gereiht, leicht neugierig“, was daran zu erkennen ist, dass sie sich allesamt leicht verbiegen, um mit ihren gelben Signalköpfen jeweils den besten Blick auf Passanten zu erhaschen. Traurige Verkehrsleuchten sind auch vertreten, die weinen um einen demolierten Pylonen.

Eltern der F-Jugend wenden sich ab

Ja, grell und plakativ sind all diese Arbeiten von Toninho Dingl. Ihr Humor fällt ins Auge, ihre Botschaft scheint eindeutig. Aber unter der Oberfläche regt sich die Verzweiflung über eine Gesellschaft, die den Anschluss verloren hat – an die Natur, die Menschlichkeit. Ihr fehlt der Überblick, stattdessen opfert sie großzügig dem Erfolg und der Mode, wie großformatige Bilder von Sneaker-Schuhen illustrieren. Und die Eltern der F-Jugend wenden sich bei einem Fußballspiel entrüstet von ihren Sprösslingen ab, wohl weil die nicht die „gewohnte“ Leistung zeigen.

 

von Peter Jungblut

 

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